Martin von Cochem

Martin von Cochem – der (un)bekannte Schulpatron
Von Stefan Beise

Martin von Cochem nach Steinle

Martin von Cochem: Jeder Cochemer Gymnasiast hat diesen Namen schon einmal gehört und gelesen – spätestens dann, wenn er sein Halbjahres- oder Jahreszeugnis mit der Aufschrift „Martin-von-Cochem-Gymnasium“ in den Händen hält. Der ein oder andere hat sich wohl auch schon mal gefragt, wer dieser Mensch überhaupt war, wann er gelebt hat, was er erlebt und was er Besonderes gemacht hat: „War das der Martin mit dem Mantel?“ Nein, Martin von Tours, der Bischof in der französischen Stadt Tours war und der Legende nach als junger Soldat seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hatte, lebte mehr als 1300 Jahre vor dem Cochemer Martin. Eigentlich hieß er auch gar nicht Martin von Cochem, sondern er trug wie seine Eltern den Namen Linius, als er in Cochem am 13.12.1634 geboren worden war.1 Der Vorname ist unbekannt, da alle Kirchenbücher bei der Zerstörung der Stadt Cochem während des Pfälzischen Erbfolgekrieges im Jahre 1689 vernichtet wurden. Sein Vater Matthias Linius war Hutmacher und zum zweiten Mal verheiratet.

In dem Jahr, in dem Martin geboren wurde, wurde das Kapuzinerkloster in Cochem eingeweiht. Es wurde seit 1623 errichtet, nachdem der Trierer Kurfürst Lothar von Metternich dem Kapuzinerorden seine Zustimmung gegeben hatte. Martin konnte also als Cochemer Jung das Wirken der Kapuziner in der Stadt erleben. Am 2.3.1653 wurde er mit der Einkleidung selbst Kapuziner. Von nun an führte er den Namen Martin oder wie damals üblich Martinus. Möglicherweise ist anzunehmen, dass man für ihn den Namen Martin wählte, weil der eben erwähnte Martin von Tours der Patron der Cochemer Pfarrkirche ist. Sein weiterer Werdegang führte dazu, dass er sich kaum noch in seiner Heimatstadt aufhielt. Das Noviziat machte er wahrscheinlich im Kapuzinerkloster in Köln. Er studierte gemäß der Ordensvorschrift sieben Jahre Philosophie und Theologie (Mainz und Aschaffenburg) und wurde in dieser Zeit frühestens 1657 zum Ordenspriester (Pater) geweiht und schon 1664 als Lektor mit Lehrtätigkeiten für den Ordensnachwuchs in Mainz beauftragt.

Im Jahr 1666, als die Pest viele Opfer forderte, erschien das erste Werk von Martin mit dem Titel „Kinder-Büchlein“. Dem Verleger Friessem aus Köln gefiel dieser Katechismus für Kinder so gut, dass er dem Orden den Rat gab, Martin für die Schriftstellerei freizustellen. 1668 kam Martin nach Bensheim, um dort als Pfarrprediger, Katechet und Beichtvater in der Seelsorge zu wirken. Anschließend hielt er sich um 1670 im Kloster Nothgottes auf, wo er mit dem Schreiben seiner Gebetbücher begann, und wurde dann nach Trier versetzt (circa 1673). Für die Zeit von 1675 bis 1678 ist er in Königsstein nachzuweisen, wo die Kapuziner mit der Soldatenseelsorge betraut waren. In dieser Zeit (1677) erschien das bekannteste Werk Martins, „Leben Christi“. Zu seinen Lebzeiten wurde das Werk über 40 Male neu aufgelegt und ins Tschechische und Ungarische übersetzt.

Ab 1678 war Martin im Kloster Dieburg stationiert, wo er für den Mainzer Erzbischof das Mainzer Gesangbuch überarbeitete, und übernahm 1682 die Aufgabe des Visitators und Missionars im Erzbistum Mainz. Im Auftrag des Erzbischofs besuchte er die Kirchengemeinden, um die Gläubigen im Glauben zu unterweisen und auch über die Amtsführung der jeweiligen Pfarrer in Mainz zu berichten. Aus dieser Zeit sind Beschwerden über ihn bekannt. So solle er sich z.B. besser auf seine Predigten vorbereiten und nicht nachts Katechesen halten, um jegliche Vertrautheit mit Frauen zu meiden. Es ist möglich, dass die Beschwerden auf Pfarrer, die Martin zu beaufsichtigen hatte, oder Ordensbrüder zurückzuführen sind. Ferner sind auch Klagen über Martin überkommen, weil er seine Bücher anderen Verlegern zum Nachdrucken abtrat, obwohl sie früheren Verlegern zum Drucken überlassen worden waren.

Für die Jahre 1687/88 sind Aufenthalte in Ehrenbreitstein und Bernkastel bezeugt. Der Weg müsste ihn auch durch seine Heimatstadt geführt haben, die in diesem Zeitraum von den Franzosen besetzt wurde. Im Jahr 1689 fand er Aufnahme im Kapuzinerkloster Günzburg an der Donau, wo er sich seiner schriftstellerischen Arbeit widmen konnte. Ab 1693 wanderte er donauabwärts nach Passau, Linz und Prag und begann dort mit seiner „Erklärung der heiligen Messe“, einer weiteren Hauptschrift Martins, die bis 1957 in 398 Auflagen verlegt wurde. Nur wenige Gläubige hatten damals die Möglichkeit, die in lateinischer Sprache und auch oft in stiller Weise zelebrierte Hl. Messe zu verstehen. Martin war es wichtig, wie er im Jahre 1677 schreibt, „alles ganz schlicht und einfältig zu schreiben, damit die ungelehrte Burgs- und Bauers-Leuth alles wohl und klärlich verstehen mögen.“2
Von 1698 bis 1700 war er als Visitator und Missionar im Bistum Trier tätig, bevor er vom Ordensoberen ins Kloster Waghäusel versetzt wurde. Ein unglücklicher Sturz auf der Treppe soll ihn im letzten Lebensjahr ans Krankenlager gefesselt haben. Martin von Cochem starb am 10.9.1712 und wurde in der Gruft des Klosters Waghäusel beigesetzt.

Martin von Cochem ist, obwohl er als Seelsorger und Volksmissionar vor allem mit dem Predigen betraut war, nicht als herausragender Prediger bekannt geworden. Von ihm ist keine Predigt überliefert. Er ist auf Grund seiner Bücher (wenigstens 24 große Publikationen3) quasi als Medienmensch seiner Zeit weltweit bedeutend geworden. Seine Werke wurden im deutschsprachigen Raum trotz vieler Anfeindungen seit der Aufklärung bis in die 1950er Jahre immer wieder neu gedruckt und werden im Ausland, z.B. in Sydney heute noch verlegt. Kaum ein anderer Volksmissionar früherer Zeiten nutzte das Medium Buch so wie Pater Martin von Cochem, um sich für eine Intensivierung des Glaubenslebens zu bemühen. Es kann nur spekuliert werden, ob er heute auf das Internet zurückgreifen würde.

Als im Jahre 1963 das Martin-von-Cochem-Gymnasium eingeweiht wurde, stand wohl in sehr vielen Cochemer Häusern ein „Martin-von-Cochem“ im Bücherregal. Allerdings sah man schon 1963 die Notwendigkeit, den gewählten Namensgeber der Öffentlichkeit vorzustellen, jedenfalls nochmals seine Bedeutung in Erinnerung zu rufen. So wirft der Artikel in der Festschrift zur Einweihung nach einem einleitenden Zitat des ultramontanen Geschichtsschreibers Johannes Janssen die Frage auf: „Wer war nun Martin eigentlich?“4 Auf eindringliche Weise wird in dem Aufsatz Martin von Cochem als ein Anwalt der Innerlichkeit, als Vermittler mittelalterlicher Frömmigkeit, als Friedensbote der Versöhnung unter den Konfessionen, als Schrittmacher des sozialen Gedankens, als Förderer der deutschen Sprache, als Meister der deutschen Sprache, als Freund deutscher Art, als Brückenbauer zur Welt des Westens wie des Ostens, als Deutschlands weitverbreitetster religiöser Volksschriftsteller, als großer Volkserzieher, als Sänger der Freude und als Freund seiner Vaterstadt vorgestellt.5 Der Text spiegelt das Bemühen wider, dem Gymnasium eine Art Leitbild zu geben. Die Tatsache, dass Martin als der bekannteste Cochemer gilt, sollte nicht der alleinige Grund für die Namenswahl gewesen sein.

Ob sich im Vergleich zu der Zeit vor 50 Jahren so viel verändert hat, wenn man feststellt, dass heute nur wenige Schüler und Lehrer mit dem Namensgeber etwas verbinden, soll hier nicht erwogen werden. Vermutlich zeigte sich eine wohl noch weiter als heute verbreitete Anbindung an die Kirche auch im Jahre 1963 mehrheitlich nicht mehr an der Lektüre erbaulicher Schriften von Pater Martin. Zu dieser Zeit war bereits die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) beendet und die Verabschiedung des ersten Konzilsdokuments (Konstitution über die Liturgie) stand kurz bevor. Dieses „Aggiornamento“ in der Katholischen Kirche musste damals auch viele Cochemer bewegt haben und zu berechtigter Hoffnung auf eine Erneuerung der Feier des Gottesdienstes, des Kirchenverständnisses und auf eine Öffnung der Kirche zur Moderne geführt haben. In dieser Zeit des Umbruchs fanden die 300 Jahre alten Texte von Pater Martin sicherlich kaum Beachtung. Dies ist auch für die nachkonziliare Zeit zu konstatieren. Vor allem zu Jubelfeiern rief man sich den berühmten Cochemer Sohn in Erinnerung, so im Jahre 1984, dem 350. Geburtstagsjahr des Kapuziners. Vier Fachvorträge, jeweils eine Ausstellung im Ratskeller und in der Stadtbibliothek, ein von der Theatergruppe des Gymnasiums aufgeführtes Schauspiel „Genoveva“, ein Konzert mit Musik aus der Zeit Pater Martins, ein Begegnungswochenende für Jugendliche und Kapuziner sowie drei Gottesdienste konnten nochmals eine Auseinandersetzung mit Martin von Cochem antreiben. An seinem Geburtshaus in der Liniusstraße wurde zudem eine Gedenktafel angebracht.

In seinem 300. Todesjahr 2012 hatten die Schülerinnen und Schüler der Haushistoriker-AG die Möglichkeit, drei Tage in der Provinzialbibliothek der Kapuziner in Münster ad fontes zu gehen und im Magazin der Bibliothek einen ungeordneten Bestand von circa 500 Pater-Martin-Ausgaben (17. Jahrhundert bis zum 20. Jahrhundert) zu sichten und zu verzeichnen. Die „Haushistoriker“ wurden von den Kapuzinern herzlich aufgenommen und konnten so das Leben in einem franziskanischen Konvent kennen lernen. Die Ergebnisse und Erlebnisse wurden in einer Ausstellung in der Schule vorgestellt. Zur gleichen Zeit fand in der Sparkasse eine Ausstellung mit Leihgaben aus der Provinzialbibliothek und dem Provinzialarchiv der Kapuziner statt.

Wer war Pater Martin von Cochem und was hat er den Menschen heute zu sagen? Diese Leitfrage tauchte auch im Jahr 2012 auf. Ein heutiger medienerfahrener Kapuziner, Bruder Paulus Terwitte aus Frankfurt, ging diesen Fragen bei einem Vortrag in der Schule und einem Abendvortrag im Kapuzinerkloster nach und stellte den barocken „Medienmönch“ als ein Vorbild dar. Er regte dazu an, wie Pater Martin für den lebenbejahenden Gott aufmerksam zu sein. Demnach sollte im Gebet das Leben mit all seinen Facetten Thema sein. Er empfiehlt, dass man die persönlichen Anliegen und Gedanken ungefiltert und unfrisiert vor Gott zur Sprache bringt. Martin von Cochem sprach in seinen Gebetsanregungen von den sogenannten „Schussgebeten“, die wie ein Pfeil aus dem Herzen zu Gott schießen. Es geht ihm in seinen Schriften um ein authentisches Beten als Ausdruck einer lebendigen Gottesbeziehung.

Pater Martin kann in seiner Funktion als Schulpatron die Aufgabe haben, jungen Menschen ein Vorbild für eine lebensbejahende Haltung zu sein. Er kann dazu ermutigen, für die eigenen Begabungen aufmerksam zu werden sowie nach dem zu fragen, was in einem lebendig ist und wofür man „brennt“. Die beeindruckende schriftstellerische Tätigkeit Pater Martins ist ein Zeugnis für sein Anliegen, die Menschen nicht in einer unmündigen Religiosität zu belassen, sondern ihnen Anstöße für einen lebendigen Glauben zu geben. Seine bewegte Biographie zeigt sein unermüdliches Unterwegssein zu den Menschen. Ihnen machte er Mut, authentisch zu glauben, glaubhaft zu sein und sich nicht damit zu begnügen, eine Kopie anderer zu sein. Von Pater Martin kann man lernen, Neugier und Lust am Leben zu haben.

  1. Alle biographischen Angaben sind entnommen aus: Konradin Roth OFM cap, Leben und Schriften des Pater Martin von Cochem (1634-1712), in: Reinhold Schommers (Red.), Pater Martin von Cochem. Kapuziner. Festschrift zur Feier des 350. Geburtstages in seiner Heimatstadt, Cochem 1984, S. 7-32.
  2. Ebda., S.18.
  3. Vgl. Kurt Küppers, Martin von Cochem, in: LThK 6 (2006), S.1423f.
  4. Eberhard Moßmaier OFM Cap, Martin von Cochem. Ein Lebensbild, in: Werner Quax (Red.), Staatliches Martin-von-Cochem-Gymnasium, Neusprachlich – im Au au. Festschrift zur Einweihung des neuen Schulgebäudes, Cochem 1963, S.7.
  5. Vgl. Ebda., S.7-20.